Stress ist der grösste Feind
Hier fahren die ganz grossen Maschinen auf: Drehbohrgeräte, Bagger, Dumper, LKWs, Kräne – am Steuer und dazwischen täglich bis zu 140 Mitarbeitende, die auf der 2,5 km langen Baustelle rund um den Bahnhof Liestal direkt neben den Gleisen und mitten in dicht bebautem Gebiet Erdreich verschieben, Stützwände betonieren und Bahntrassen, Perrons, Unterführungen, Brücken und Parkhäuser bauen. Seit Juni 2019 ist Implenia für dieses CHF 115 Mio. Projekt im Einsatz, das 2025 fertiggestellt werden soll.
Projekt Vierspurausbau Liestal, Schweiz
Projekt: Ausbau der SBB Gleisanlagen auf 2,5 km von zwei auf vier Gleise. Bahnhofumbau, Perronneubauten, Anpassungen der Infrastrukturbauten
Bauzeit: 2019 bis 2025
Auftragsvolumen: CH 115 Mio.
Wie überall auf dem Bau ist auch in Liestal Effizienz ein zentrales Thema. Wie das Thema Sicherheit da hineinpasst? Walter Wolf, Leiter Markt Nordwestschweiz/Bern und Baueinheit Nordwestschweiz, der mit seinem Team seit Jahren besonders tiefe Unfallzahlen vorweisen kann: «Sicherheit kommt bei uns an erster Stelle. Das wird schon seit Jahren so gelebt, und zwar von ganz oben und mit sehr viel Nachdruck. Sicherheit ist wichtiger als Gewinn, wichtiger als Pünktlichkeit. Wer sich nicht zu ‘Safety First’ verpflichten will, kann gehen.»
«Sicherheit kommt bei uns an erster Stelle.»
Walter Wolf, Leiter Markt Nordwestschweiz / Bern und Baueinheit Nordwestschweiz
Sicherheit ist Führungsaufgabe
Das ist nicht nur so dahergesagt. Verantwortungsloses Verhalten liegt bei Implenia nicht drin und ist ein Kündigungsgrund, so Walter. «Ich habe wirklich gute Mitarbeiter aus genau diesem Grund erst verwarnt und dann entlassen müssen. Das hat sich inzwischen rumgesprochen.» Vorgesetzte müssen auf jeder Stufe dafür sorgen, dass die Sicherheitsbestimmungen kompromisslos eingehalten würden, auch wenn das unbequem sei und unbeliebt mache, betont er.
«Bei den Sicherheitsregeln herrscht Nulltoleranz. Zu Alkoholkonsum gibt es eine klare Direktive, die kompromisslos durchgesetzt werden muss!»
Felix Akeret, Head Safety
Felix Akeret, seit Februar 2021 als Global Head Safety bei Implenia, unterschreibt diese Aussage voll und ganz: «Sicherheit ist ein Führungsthema. Nehmen wir unsere Sicherheitsregel Nr. 1: Wer eine Gefahr erahnt, muss sich selbst und auch andere stoppen – sofort, bestimmt und respektvoll. Das ist einfacher gesagt als getan, weil man sich dabei exponiert. Daher muss es geübt werden, und zwar das Stopp-Sagen und das Annehmen. Das bedingt ein fundamentales Umdenken in der Organisation.»
«Was gut ist: Wenn der Polier genau erklärt, was wir machen und was dabei gefährlich ist.»
Rifat Hasanai, Gruppenführer
Auf der Baustelle in Liestal ist Stopp-Sagen als Teil der Kultur etabliert. Rifat Hasanai, der bei den verschiedensten Teams einspringt, wenn gerade Hilfe gebraucht wird, nimmt kein Blatt vor den Mund: «Wenn etwas nicht sicher ist, sage ich es – und mache nicht weiter.» Wie seine Chefs darauf reagieren? «Gut, kein Problem!» Das ist kein Zufall. Wie das gesamte Team von Walter Wolf hat auch David Sauerborn, der die Baustelle leitet, das Thema Sicherheit ganz oben auf seiner Agenda. «Zentral ist, dass das Klima stimmt und sich die Leute trauen, auf sich und andere zu achten.»
«Zentral ist, dass das Klima stimmt und sich die Leute trauen, auf sich und andere zu achten.»
David Sauerborn, Baustellenchef
Jörg Häller, als Sicherheitsbeauftragter im Tiefbau-Ingenieurbau Schweiz auch für Liestal zuständig, hat den Hauptfeind der Sicherheit identifiziert: «Unter Zeitdruck sucht der Mensch Abkürzungen und so passieren Unfälle. Dagegen hilft nur, sich Zeit zu nehmen für das Thema. Wenn ich auf der Baustelle eine gefährliche Situation sehe und dann nur schnell sage: ‘Pass auf!’, dann ist die Gefahr im Moment vielleicht abgewandt. Für die Zukunft ändert sich aber nichts. Ich muss den Leuten die Chance geben, sich und die Situation von aussen zu sehen. Dann denken sie um und machen es das nächste Mal anders.»
«Ich erkläre meinen Leuten: ‘Beim Eishockey willst du ja auch geschützt im Goal stehen!’»
Jörg Häller, Sicherheitsbeauftragter im Tiefbau-Ingenieurbau Schweiz
Gefahrenherd Routine
Aber nicht nur Zeitdruck und Stress, auch die menschliche Bequemlichkeit beeinträchtigt die Sicherheit. Dann wird zum Beispiel ohne Gurt gefahren oder ohne Einführung an einer Maschine gearbeitet. Andere wiederkehrende Themen sind fehlende Absperrungen und Signalisationen, aber auch die Reinigung von Maschinen. Und paradoxerweise kann zu viel Routine ebenso zu Sicherheitslücken führen wie zu viel Veränderung. «Der Mensch gewöhnt sich an alles», so Felix Akeret. «Wenn man eine Gefahr einige Male erfolgreich ignoriert, verliert sie ihren Schrecken.»
«Unsere Leute sind sehr engagiert. Wenn ich sie auf ein Sicherheitsrisiko aufmerksam mache, beseitigen sie es sofort.»
Laurence Spaar, Bauführerin
Genau in solchen Fällen sind Vorgesetzte gefragt. Walter Wolf erzählt von einem Zusammenstoss mit einem Bauherrn: «Bei Arbeiten in einem Strassentunnel haben wir eine Fahrbahn abgesperrt und ich wollte dort einen Anpralldämpfer, der verhindert, dass Autos in unsere Leute hineinrasen. Der Bauherr hatte gerade keinen zur Verfügung und wollte, dass wir ohne weiterarbeiten. Da habe ich «Stopp!» gesagt, obwohl die Bauleitung gedroht hat, uns den Werkvertrag zu entziehen.» Auch wenn es nicht so weit gekommen ist: Er hätte auf den Auftrag verzichtet: «Ich weiss, dass ich bei Implenia mit dieser Entscheidung unterstützt würde.»
Aktiv gelebte Führungsverantwortung, Konsequenz, Risikobewusstsein, Zivilcourage – nur so funktioniert Sicherheit, ist auch Felix Akeret überzeugt. «Unsere Unfallzahlen gehen seit Jahren zurück. Das ist eine gute Entwicklung, aber wir dürfen uns nicht blenden lassen: Es kommt immer wieder zu Unfällen mit schlimmen Konsequenzen und das können wir nicht akzeptieren. Die Sicherheitskultur in der Gruppe variiert stark, wir kämpfen vor allem auch mit alteingesessenen Denkmustern, auf den Baustellen wie auch in den Büros. Unser Weg ist noch weit und es heisst, dranbleiben!»