Bei Klappbetten hört der Spass auf
Sind Implenia die Ideen ausgegangen? Oder warum habt ihr eine Umfrage gemacht, wie die Wohnungen im «Rocket» aussehen sollen?
Stefan Verling: Implenia will die Bedürfnisse des Marktes möglichst genau verstehen und direkt in die Projektentwicklung einfliessen lassen. Dafür beziehen wir potenzielle Kunden in den Gestaltungsprozess mit ein und passen unser Angebot an ihre Wünsche an. Dieses Vorgehen nennt sich Co-Creation. Im Zentrum steht der Kunde, die Kundin. Ihn oder sie versuchen wir so früh wie möglich an Bord zu holen. Für die Immobilienbranche ist dieses Vorgehen Neuland. Bei Start-ups und der Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen hingegen ist die Methode längst etabliert.
Wie funktioniert so eine Befragung?
Ein Wunschkonzert – beispielsweise den Swimmingpool auf der Terrasse – können wir nicht bieten. Stattdessen stellten wir zwei konträre Varianten zur Wahl. Daraus erschliessen sich uns die Vorlieben: Sind grössere Wohnungen begehrt oder kleinere? Mit oder ohne Einbauschränke? Und so weiter.
Wie habt ihr die Teilnehmenden gefunden?
Wir schalteten Werbung auf verschiedenen digitalen Kanälen wie Facebook, Instagram, Google. Von dort gelangte man auf unsere temporäre Projektwebseite. Ab da konnten wir mitverfolgen, was Interesse weckt, und die Interessenten konnte sich direkt in eine Liste eintragen. Als Goodie und Dankeschön dafür bekommen sie die Vermarktungsinformationen. Als Nächstes baten wir sie, einen Fragebogen auszufüllen, was rund die Hälfte getan hat.
So habt ihr wichtige Informationen bekommen?
Genau. Zusätzlich führten wir anhand der Fragebögen qualitative Interviews mit sechs potenziellen Kunden und schrieben jene an, die bislang keine passende Wohnung gefunden hatten. Alles in allem generierten wir so über 400 qualifizierte Leads, also potenzielle Kundinnen und Kunden mit einem realen Interesse.
Wurde «Rocket» erst aufgrund dieser Befragung im Detail geplant?
Die groben Rahmenbedingungen nach geltendem Gestaltungsplan wie Höhe und Fläche des Gebäudes standen fest. Nun aber wissen wir, wie viele Quadratmeter und Zimmer die Wohnungen haben sollen und können Ausstattung und Mix der Nutzenden steuern.
Was wollen künftige Bewohnerinnen und Bewohner unbedingt haben?
Balkon oder Terrasse sind Kriterium Nummer eins. Wer das nicht bieten kann, hat einen Nachteil auf dem Markt. Im höherpreisigen Segment, bei uns «Classic» genannt, ist eine private Terrasse wichtig, ein grosszügiges Wohnzimmer, eine repräsentative Lobby sowie ein begehbarer Kleiderschrank. Dem gegenüber steht «Smart», minimalistisches Mikro-Living, das man aus dem asiatischen Raum kennt. Hier sind flexible Räume und verschiebbare Trennwände grosse Wünsche. Und Smart-Interior-Design, also eingebaute, möglichst versenkbare Möbel. Oft nachgefragt wurden auch ein persönlicher Arbeitsplatz im Co-Working Space in der Lokstadt-Halle und zumietbare Gästezimmer.
Das wünschen sich Kundinnen und Kunden
Segment «Classic» - höherpreisig | Segment «Smart» - minimalistisch |
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Gab es Überraschungen?
Die Beliebtheit von 1,5- und 2,5-Zimmer-Wohnungen – zum Mieten und im Stockwerkeigentum – hat uns überrascht. Und der Markt verlangt fast doppelt so viele 5,5-Zimmer-Wohnungen als wir geplant hatten! Ausserdem wählten die Interessenten bei den kleineren Wohnungen unter 75 Quadratmetern dreimal häufiger die Variante «Smart».
Wie kam der Vorschlag an, dass man bei «Smart»-Wohnungen die Wände verschieben, aber kein eigenes Bett reinstellen kann?
In dieser Frage waren sich alle einig: Ausklappbare Betten sind ein absolutes No-Go. Bei allem Wunsch nach Flexibilität, beim Klappbett hört der Spass auf.
Weiss Implenia nun, was erfolgversprechend ist, oder muss die Kundschaft vor jedem grossen Projekt befragt werden?
Der Markttest beim «Rocket» war der erste seiner Art für Implenia, und er hat sich bewährt. Bereits laufen weitere ähnliche Tests, beispielsweise in der Romandie. Wir möchten natürlich immer die grösste Unbekannte herausfiltern. Es wäre ruinös, etwas zu planen, das der Markt gar nicht will. Wir bekommen zwar viele Marktdaten und Zahlen, aber Tests wie dieser liefern wichtige zusätzliche Informationen. Ausserdem inspiriert uns der Dialog mit den zukünftigen Nutzern.
Ein Markttest kostet aber Geld und verteuert einen Bau.
Ich sehe die Tests als Investition in ein optimales Angebot, das sich dann auch schneller und besser vermarkten lässt. Wenn man nur schon zwei, drei Monate länger warten muss, bis man eine Wohnung verkaufen kann, weil sie nicht genau den Wünschen der Kundschaft entspricht, ist das am Ende teurer als unser Aufwand.
Im neuen Stadtteil Lokstadt in Winterthur entsteht das Hochhaus «Rocket» (rechts im Bild) mit rund 240 Wohnungen. Die Eigentümerin Ina Invest hat nach aktiver Marktsondierung beschlossen, im «Rocket» nur Mietwohnungen zu realisieren. Dabei werden die angedachten Wohnformen «Smart» und «Classic» nicht wie geplant umgesetzt. Erkenntnisse und Teilaspekte des Markttests fliessen aber in die weitere Planung der Mietwohnungen ein. Die Wohnungen bieten eine atemberaubende Aussicht. Baubeginn ist 2022, bezugsbereit sind die Gebäude 2025.