Guter Schlaf im Anforderungsprofil?
Silvia, warum will Implenia, dass Mitarbeitende gut schlafen?
Ein erholsamer Schlaf ist wichtig für unsere Gesundheit, unsere Leistung und unsere Sicherheit. Übermüdete Mitarbeitende fallen häufiger wegen Krankheit aus, sind weniger leistungsfähig und besitzen ein höheres Risiko für Unfälle. Wenn ich also mehrere Nächte hintereinander nicht gut schlafen kann, hat das einen Einfluss auf mein Leben am Arbeitsplatz: Ich bin gefährdeter für Unfälle auf der Strasse und auf der Baustelle, kann mich weniger gut konzentrieren und mache mehr Fehler. Aus diesem Grund ist es dem Arbeitgeber ein grosses Anliegen, dass Mitarbeitende gut schlafen, auch wenn der Schlaf eigentlich Privatsache ist.
Rund 13% der Berufsunfälle entstehen durch Schlafprobleme. So haben Personen mit Schlafproblemen ein doppelt so hohes Unfallrisiko. Im Verkehr nimmt das Unfallrisiko sogar auf das sieben- bis achtfache zu.
Quelle: Schweizerische Unfallversicherung SUVA
Wie erlebst du das Thema in deinem beruflichen Alltag?
Als Gesundheits- und Casemanagerin begleite ich Mitarbeitende mit längeren Arbeitsunfähigkeiten nach Unfällen oder während einer Krankheit. Viele von ihnen erzählen mir, dass sie schon länger nicht mehr gut schlafen. Die Ursachen sind vielfältig.
Psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeiten wie «Burnout» bzw. Erschöpfungsdepressionen haben vielfach einen engen Zusammenhang mit Schlafproblemen. Schlafmangel kann zu Depressionen führen und psychische Probleme wie etwa Panikattacken können Schlafprobleme verursachen. Schlafprobleme, die auf psychische Ursachen zurückzuführen sind, werden lange nicht oder zu wenig ernst genommen und nicht oder falsch therapiert. Um den Arbeitsalltag irgendwie zu schaffen, greifen dann viele (zu schnell) zu rezeptpflichtigen Medikamenten. Die können dann allenfalls zu einer Abhängigkeit führen.
Schlafprobleme beobachte ich auch bei vielen Mitarbeitenden, die länger als vier Monate arbeitsunfähig sind: Die Tagesstruktur fällt weg, Angst um den Arbeitsplatz macht sich breit. Das schlägt auf den Schlaf. Und das ist wiederum ein zusätzliches Problem bei der Reintegration.
Gerade bei jüngeren Mitarbeitenden beobachte ich ausserdem, dass der nächtliche Konsum von Onlinemedien den Schlaf raubt und eine Regeneration damit nicht stattfinden kann.
«Gerade bei jüngeren Mitarbeitenden beobachte ich, dass der nächtliche Konsum von Onlinemedien den Schlaf raubt.»
Silvia Günter
Was kann ich tun, wenn ich schlecht schlafe?
Ein gewisses Grundwissen zum Thema Schlafen hilft: Wir sollten uns bewusst machen, wie wichtig gesunder Schlaf ist, um gesund und leistungsfähig zu sein und zu bleiben. Schlafprobleme, die mindestens drei Nächte pro Woche während mindestens einem Monat vorkommen, verdienen unsere Aufmerksamkeit. In solchen Fällen lohnt es sich in einem ersten Schritt, die eigene Schlafhygiene gründlich unter die Lupe zu nehmen und bewusst Anpassungen zu treffen. Im Rahmen unserer Kampagne haben wir eine Reihe von Schlaftippszusammengestellt. Eventuell gibt es damit schon eine Verbesserung. Es ist aber auch gut möglich, dass externe Hilfe in Anspruch genommen werden muss.
Welche Angebote stehen in der Schweiz zur Verfügung?
Bei Schlafproblemen können Psychologinnen und Psychologen helfen. Bei diesen gibt es im Moment allerdings lange Wartezeiten. Vermutlich ist deshalb die Hausärztin oder der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Wenn diese oder dieser aber rezeptpflichte Medikamente verschreibt, ohne zuerst die Schlafhygiene anzuschauen, ist Vorsicht geboten. Achtung auch mit diversen Ratgebern: Bei Print- oder Onlineartikeln gilt es immer, kritisch zu hinterfragen, ob die Quelle auch wissenschaftlich fundiert ist.
«Wenn die Hausärztin oder der Hausarzt sofort rezeptpflichte Medikamente verschreibt, ohne zuerst die Schlafhygiene anzuschauen, ist Vorsicht geboten.»
Silvia Günter
Wie kann ich helfen, wenn ich bei einer Kollegin oder einem Kollegen Schlafprobleme bemerke?
In einem Gespräch kann ich meine Beobachtungen mit der oder dem Betroffenen teilen – wohlwollend und möglichst urteilsfrei. Zum Beispiel:
Mir ist aufgefallen, dass du in den letzten paar Wochen immer wieder eingenickt bist am Schreibtisch... Schläfst du schlecht?
Wie geht es dir, ich mache mir Sorgen, du bleibst am Abend immer sehr lange im Büro und bist am Morgen schon früh wieder da… Schläfst du nicht gut?
Es ist wichtig in einem solchen Gespräch keine Diagnosen zu stellen, sondern nur die eigenen Beobachtungen zu teilen und allenfalls Hilfe anzubieten oder auf verfügbare Hilfe hinzuweisen.
Wann muss ich STOPP sagen?
Wenn in irgendeiner Weise Gefahr droht, kommt unsere Safety Rule #1 zur Anwendung: Im Zweifel sage ich STOPP!
Auch wenn das nicht einfach ist: In gefährlichen Situationen muss das Umfeld eingreifen. Wenn jemand 17 Stunden am Stück wach ist, entspricht das einem Alkoholgehalt im Blut von 0,5 Promille – wir wissen alle, dass wir in einem solchen Zustand nicht arbeiten dürfen. Deshalb: eine Pause einschalten, bevor ein Sekundenschlaf am Steuer schlimme Folgen hat. Und Kolleginnen und Kollegen, die sich plötzlich anders verhalten, unbedingt ansprechen.
Was nimmst du persönlich mit aus der Implenia Aufklärungskampagne?
Ich weiss jetzt: Es ist normal, mehrere Male pro Nacht aufzuwachen. Auch so kann ich tief und gut geschlafen haben. Der wichtigste “Parameter” zu meiner Schlafqualität ist mein Gefühl während des Tages. Wenn ich mich fit fühle, ist alles in Ordnung.
Was können Arbeitgeber mit diesen Erkenntnissen anfangen?
Je nach Chronotyp stehen Menschen gerne früh auf oder gehen gerne früh ins Bett («Lerchen» versus «Eulen»). Mit flexiblen Arbeitszeiten kommen Arbeitgeber solchen Bedürfnissen entgegen. Heute wird noch von vielen Mitarbeitenden erwartet, dass sie sehr früh auf der Baustelle oder im Büro sind, auch wenn ihnen das Aufstehen schwerfällt. Eventuell würde ihre Leistungsfähigkeit steigen, wenn Arbeitgeber noch flexibler damit umgehen könnten.
«Mit flexiblen Arbeitszeiten kommen Arbeitgeber verschiedenen Schlaftypen entgegen.»
Silvia Günter