Ein Powerteam für den Marienhof
Dieser Artikel ist eine Gemeinschaftsproduktion der Kommunikationsabteilungen von Implenia und HOCHTIEF. Der Text erscheint auch im Magazin für die Mitarbeitenden von HOCHTIEF.
Es ist heiss an diesem Juli-Tag. Die Sonne brennt auf das 5’500 Quadratmeter grosse Baufeld auf dem Marienhof. Die 30 Jahre alten japanischen Schnurbäume, die hier bis 2011 Schatten spendeten, haben in der städtischen Baumschule in Allach ein neues Zuhause gefunden. Nach Fertigstellung der Baumassnahme werden neue Bäume die Grünanlage im Herzen Münchens hinter dem Rathaus zieren.
Neubau in 42 Meter Tiefe
Unter der ehemaligen Grünfläche am Marienhof aber wird nichts mehr sein wie bisher. Eingebettet in sechs abwechselnden Abfolgen aus tertiären Tonen und Sanden werden 200’000 Kubikmeter Stahlbeton eine Konstruktion tragen, die bis 42 Meter in die Tiefe reicht und die Infrastruktur für Münchens öffentlichen Nahverkehr nachhaltig verbessert. Der neue S-Bahnhof ist Teil der zehn Kilometer langen zweiten Stammstrecke, die zwischen den Bahnhöfen Laim im Westen und Leuchtenbergring im Osten die Münchner Innenstadt grösstenteils in Tunneln unterquert – unter Wohn- und Geschäftshäusern, Kirchen und Museen, aber auch unter den bestehenden Stationen und Tunnelsystemen der heutigen U- und S-Bahn hindurch.
Marienhof: Baustelle der Superlative
42 | Meter tief – das entspricht einem 15-stöckigen Haus, nach unten gebaut |
100 x 55 | Meter – so gross ist die Fläche, auf der in die Tiefe gegraben wird |
210 | Meter lang – so gross wird der unterirdische Bahnhof, damit die 180 Meter lange S-Bahn Platz findet |
267’500 | Kubikmeter Erdreich wird für den Bau ausgehoben, unter anderem feinster Tertiärsand |
200’000 | Kubikmeter Beton fliessen stattdessen in die Konstruktion |
15’700 | Quadratmeter Schlitzwand stabilisieren die Baugrube |
50 | Primärstützen, in bis zu 70 Meter Tiefe verankert, tragen die Konstruktion |
136 | Brunnen und Grundwassermessstellen werden zur Entwässerung gegraben |
2'000 | Messeinheiten sind auf und um die Baustelle herum installiert und warnen vor Setzungen der angrenzenden Bebauung |
Zur Projektwebsite der Deutschen Bahn: www.2.stammstrecke-muenchen.de/marienhof.html
Tiefer hat in München noch niemand gegraben
Dieses Gedränge unter der Erde zwingt die Baugesellschaften so tief zu graben, wie das bisher in München noch niemand getan hat – ein Unterfangen, das durch das Gedränge über der Erde noch zusätzlich erschwert wird. «Eine der grössten Herausforderungen bei diesem Projekt voller Herausforderungen ist die Logistik», betont denn auch Jens Classen, der der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Marienhof als Gesamtprojektleiter vorsteht. «Wir fahren hier auf engstem Raum mitten im Stadtzentrum mit den ganz grossen Maschinen auf und sollten dabei idealerweise kaum zu sehen und vor allem kaum zu hören sein.»
«Eine der grössten Herausforderungen bei diesem Projekt voller Herausforderungen ist die Logistik.»
Jens Classen, Gesamtprojektleiter ARGE Marienhof
«Wer hier baut, muss aktiv in gute Beziehungen zu den Nachbarn investieren», ergänzt Michael Müller, Construction-Manager und stellvertretender Gesamtprojektleiter, und erwähnt als Beispiel den Bürgermeister der Stadt, der sein Büro im benachbarten Rathaus hat. «Wir sind ständig im Austausch. Heute beispielsweise werden im Innenhof des Nachbarn Bettenrid gegenüber neue Schaufensterscheiben geliefert, sodass unsere Zufahrt im Norden der Baustelle blockiert wird. Das muss funktionieren – wir suchen eine Lösung.»
Komplexität auf allen Ebenen
Lösungen zu suchen, das ist überhaupt die Devise bei diesem Projekt, das die beiden grossen Bau- und Immobilienkonzerne Implenia und HOCHTIEF in einer Arbeitsgemeinschaft vereint, und bei dem diese ARGE wiederum eng mit dem Bauherrn, der Deutschen Bahn, und mit einer Vielzahl von Nachunternehmen zusammenarbeitet.
«Es ist selten, dass auf einer Baustelle so viele unterschiedliche Gewerke zusammenkommen und jedes einzelne von ihnen vor so grossen Herausforderungen steht», beschreibt Michael Müller die Komplexität des Projekts. In einer ersten Phase musste der Spezialtiefbau 15’700 Quadratmeter Schlitzwände errichten und 50 Primärstützen bis zu 67 Meter tief ins Erdreich einbringen.
Ständige Messungen und Stabilisierungsmassnahmen
Um sicherzustellen, dass sie dabei weder Gebäude noch die U- und S-Bahn beschädigt, hat die ARGE ein Messsystem mit rund 2’000 Messeinheiten und weit über 5’000 Einzelmessgebern installiert, die laufend Daten zu Baugrund- und Gebäudebewegungen liefern. Ende 2022 beginnen die Bohrungen für umfangreiche Hebungsinjektionen, die verhindern, dass sich die umliegenden Gebäude im Zuge der durch die Tunnelvortriebe entstehenden Setzungen senken. Auch der Umgang mit dem Grundwasser ist ein Thema: Über 130 Brunnen sorgen dafür, dass der Wasserdruck auf die umlaufende Schlitzwand und die Tunnelvortriebe nicht zu gross wird. Die Wasseraufbereitungsanlage im Süden der Baustelle verhindert, dass durch das abgepumpte Wasser Verschmutzung in Münchner Gewässer gerät.
Im Moment ist der Ingenieurbau damit beschäftigt, acht Meter unter der Erde die erste Decke unter dem Dachdeckel (E-1) herzustellen, die zweite von insgesamt fünf Decken. Der 72 Meter hohe Spezialkran, der bis zu 48 Tonnen heben kann, transportiert dafür Bewehrungseisen durch eine der Öffnungen auf die nächstuntere Ebene, unterstützt von nur einem ARGE-Mitarbeiter in der prallen Juli-Sonne. Der Rest der Truppe profitiert von den angenehmeren Temperaturen unter Tage.
Lang geplante Zusammenarbeit
Dass das Projekt sowohl technisch als auch logistisch herausfordernd sein würde, stand von Anfang an fest. Aus diesem Grund haben die ARGE-Partner auch schon viel Arbeit in die sehr lange Angebotsphase von fast drei Jahren gesteckt – und sind bereits zu diesem Zeitpunkt als Team zusammengewachsen, wie Classen betont: «Das Gute an unserer Arbeitsgemeinschaft ist, dass viele Leute aus beiden beteiligten Unternehmen aus der Angebotsphase direkt zum Projekt gewechselt sind. So konnten wir ihre Erfahrung nutzen und mussten nicht viele Leute neu ins Team integrieren.»
Heute kann das Marienhof-Team auf das geballte Know-how von zwei grossen Baukonzernen zurückgreifen. Gibt es da manchmal Reibereien? Jens Classen: «Eigentlich nicht. Trotz aller Erfahrung lernen wir immer noch alle dazu – und durchaus auch voneinander. Wir nutzen zum Beispiel das SAP-System von HOCHTIEF für unsere Rechnungsprüfung. Dafür steuert Implenia das Qualitätsmanagement-System und die Softwarelösung iTWO fürs Controlling bei.»
Damit das funktioniert, braucht es eine solide Vertrauensbasis und einen bewussten Verzicht auf Grabenkämpfe. Diese sind unter den ARGE-Partnern am Marienhof nach fünfjähriger Zusammenarbeit überhaupt kein Thema mehr, wie auch Michael Müller betont: «Das Schöne ist: Wir können unsere volle Kompetenz in die Technik und in das Projekt stecken – so macht Bauen wieder Spass.»
Arbeitspaare
Das Marienhof-Team kann auf das geballte Know-how von zwei grossen Baukonzernen zurückgreifen. Wir stellen verschiedene Arbeitspaare vor – wie zum Beispiel Gesamtprojektleiter Jens Classen von Implenia und sein Stellvertreter, Construction-Manager Michael Müller von HOCHTIEF. Zusammen lenken sie die Geschicke der ARGE Marienhof.
Heimspiel in München
Die Motivation, am Marienhof mitzubauen, ist im ganzen Team spürbar. «Viele Kolleginnen und Kollegen sind in eine der Firmen gewechselt, um bei diesem Projekt dabei zu sein», so Classen. Vor allem altgediente Münchner Tunnelbauer wollten unbedingt bei diesem Projekt vor der eigenen Haustür mitmachen. Deswegen sind sowohl aus dem Hause HOCHTIEF als auch von Implenia viele Mitarbeitende dabei, die schon viel Erfahrung mit Grossprojekten gemacht haben – und die jetzt den Grundstock dieses Projekts bilden.
Gleichzeitig finden sich in den Reihen der Marienhofler auch viele junge Leute. Sie lernen sozusagen im Windschatten der erfahrenen Truppe, wie man ein Grossprojekt erfolgreich aufzieht – und bekommen auch immer wieder die Chance, in einen anderen Bereich zu wechseln und dort wieder neue Erfahrungen zu sammeln. «Die Nachwuchskräfte bringen neben ihrem Schwung vor allem auch ihr Know-how bezüglich digitaler Arbeitsweisen mit und ergänzen damit uns alte Hasen», betont Classen. «Insofern ist das eine sehr angenehme Mischung!»
Geglückter Know-how-Transfer
Wie überall in der Baubranche fehlt auch am Marienhof der Mittelbau: 20 Jahre lang wurden nur wenige neue Leute eingestellt. Umso wichtiger ist es jetzt, das Know-how der erfahrenen Kolleginnen und Kollegen an die nächste Generation weiterzugeben und so im Projekt zu behalten. «Viele der älteren Mitarbeitenden werden noch während der Projektdauer in Rente gehen. Deshalb haben wir innerhalb der Teams ganz bewusst Erfahrene mit Jungen gepaart – das ist in der Kombination fast unschlagbar.»
Doch nicht nur der Wissenstransfer wird gepflegt: Auch der persönliche Austausch wird in der sehr familiären Atmosphäre im Baubüro grossgeschrieben. Die meisten hier wissen nicht genau, wer von Implenia oder von HOCHTIEF zur ARGE gestossen ist. Sie sind ein Team.
Das ABC des ARGE-Erfolgs
AUSTAUSCH
Das Marienhof-Team diskutiert offen und auch mal heftig, um die beste Lösung für das Projekt zu finden und am Ende an einem Strang zu ziehen.
BEGEISTERUNG
Das Marienhof-Team empfindet es als Privileg, bei diesem Jahrhundertprojekt im Herzen Münchens einen wichtigen Beitrag leisten zu dürfen.
CHEMIE
Neue Team-Mitglieder müssen nicht nur die nötigen Qualifikationen mitbringen; sie müssen auch menschlich ins Team passen – damit die Stimmung stimmt.
KONTINUITÄT
In der ARGE Marienhof arbeitet der Grossteil der Beteiligten seit der Angebotsphase zusammen und bildet inzwischen ein eingespieltes Team.
PLANUNG
Das Marienhof-Team steckt überdurchschnittlich viel Energie in die Planung, um trotz eng getaktetem Zeitplan kurzfristige Anpassungen zu ermöglichen.
Offene Kommunikation auch mit dem Auftraggeber
Eine aktive Beziehungspflege prägt auch den Umgang mit dem Auftraggeber, der Deutschen Bahn – unterstützt von einem gemeinsamen Verständnis, dass man das Projekt partnerschaftlich vorantreiben möchte. «Diese Herangehensweise hat es uns schon in der Angebotsphase erlaubt, das Projekt zu optimieren», ist Gesamtprojektleiter Classen überzeugt. «Auch über den Lean-Gedanken, den wir bereits im Vertrag verankert haben, haben wir uns sehr schnell zusammengefunden, gerade am Anfang des Projekts, in Workshops mit dem Bauherrn, den Planern und der Bauüberwachung.» Für den Austausch hilft auch die räumliche Nähe – die Büros sind nur durch eine Treppe im Containergebäude voneinander getrennt, und man geht beieinander ein und aus.
Die partnerschaftliche, lean-basierte Zusammenarbeit mit den ARGE- und mit den Projektpartnern sind laut Jens Classen die Grundlage, um hybride Grossprojekte effizient und profitabel abzuwickeln. «Indem man Konflikte vermeidet, können sich alle Beteiligten auf das Lösen von komplexen technischen Herausforderungen und auf eine zügige Nachtragsbearbeitung und -verhandlung konzentrieren. In Summe führen diese Faktoren zu einem soliden, konstanten Ergebnisbeitrag.»
Bewusste Investition in den Personalstand
Damit das gelingt, investiert die ARGE auch bewusst in Ressourcen: «Wir haben eine angemessenere Besetzung als auf anderen Großbaustellen», erklärt Michael Müller. «Tatsache ist: Die Parallelität von noch laufender Ausführungsplanung und Arbeitsvorbereitung sowie die dann sehr kurzfristige Umsetzung auf der Baustelle erfordern einen erhöhten Personalaufwand, um Qualitätseinbußen und Zeitverluste zu vermeiden. Hier am Marienhof haben wir zum Beispiel in die Planungskoordination investiert und stellen sicher, dass das, was von Seiten des Bauherrn geplant ist, auch wirklich umgesetzt werden kann. Wenn sich Probleme abzeichnen, schlagen wir frühzeitig Alarm – und stecken unsere Energie in die Lösungsfindung und nicht in die Beilegung von Streitigkeiten.»
Durch den offenen Austausch entsteht ein Verständnis für die Themen, Probleme und Herausforderungen der jeweils anderen – und diese gelebte Kommunikation erspart dem Team sehr viel Schriftverkehr und Nachtragsverhandlungen.
«Wir fragen: Wo liegt das Problem? Und dann suchen wir gemeinsam eine Lösung, im Team, nicht gegeneinander, und zwar innerhalb der ARGE, aber auch mit dem Bauherrn und den Nachunternehmern», so Müller. Es erstaunt nicht, dass das Projekt Marienhof Vorzeigecharakter hat: für eine gelungene. Zusammenarbeit in einer Arbeitsgemeinschaft, aber auch für die lösungsorientierte Abwicklungeines komplexen Infrastrukturprojekts.
So werden unnötige Kosten und Bauzeitverlängerung vermieden. Darum ärgert es Jens Classen und Michael Müller auch besonders, dass bei den aktuellen Diskussionen um Bauzeitverlängerung und Kostensteigerung in Presseartikeln immer der Marienhof gezeigt wird. «An uns liegt es am wenigsten!»