«Arbeitssicherheit ist eine Frage der Haltung»
Was bedeutet Safety für Implenia?
Felix Akeret: Für uns heisst Sicherheit, dass durch unsere Arbeit und unsere Aktivitäten niemand zu physischem und psychischem Schaden kommt. Auf der Baustelle sagen wir gern: Ihr geht so nach Hause, wie ihr gekommen seid. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass wir auch Drittpersonen schützen müssen, die durch unsere Arbeiten verletzt werden könnten.
Wie schafft man Sicherheit?
Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nie. Sicherheit bedeutet immer eine Balance zwischen dem Risiko, das man akzeptieren will, und dem Umfang der Massnahmen, die man ergreifen will, um Baustellen und andere Arbeitsplätze gemäss den Ansprüchen des Unternehmens sicher zu machen. Das heisst auch, dass es bei Sicherheit immer um Abwägungen geht.
«Bei Sicherheit geht es immer um Abwägungen.»
Felix Akeret, Global Head Safety
Wo werden diese Abwägungen getroffen?
In der Baubranche sind gewisse Abwägungen bereits durch die Gesetzgebung vorweggenommen wie zum Beispiel die Helmpflicht auf Baustellen. Wir bei Implenia treffen zusätzliche Abwägungen auf organisatorischer Ebene sowie am Arbeitsplatz. Für die gesamte Organisation haben wir zum Beispiel festgelegt, dass auf unseren Baustellen Sicherheitsschuhe der Schutzklasse S3 getragen werden, obwohl dies in keinem Gesetz so vorgeschrieben ist, oder dass bei Betonierungsarbeiten ein Augenschutz aufgesetzt werden muss. Am Arbeitsplatz selbst sind es in der Regel die Vorgesetzten wie Bauführer oder Projektleiterinnen, die abwägen, ob die getroffenen Massnahmen und die Risiken in Balance sind, bevor die Arbeiten beginnen. Dazu stehen ihnen ihre Sicherheitsspezialisten beratend zur Seite.
Wie ist Safety bei Implenia organisiert?
Auf Stufe global habe ich gemeinsam mit Rolf Riser den Auftrag, die Safety-Funktion zu organisieren und zu koordinieren, damit wir dem Business optimale Unterstützung bieten können. In den Einheiten selbst hat Implenia Safety-Spezialisten implementiert, die innerhalb der Einheiten und Divisionen beratend zur Seite stehen. Sie beraten die Mitarbeitenden und die Vorgesetzten, damit diese sicher arbeiten können.
Insgesamt arbeiten bei uns auf Ebene der Einheiten 15 Safety-Spezialisten und darüber hinaus weitere Spezialisten in den Regionen.
Und wer ist bei Implenia schliesslich für Safety verantwortlich?
In erster Linie, und das ist auch im Gesetz so verankert, sind dies die Vorgesetzten aller Stufen. Sie müssen die Arbeitsplätze möglichst sicher gestalten sowie den Mitarbeitenden die nötigen Schulungen und die Ausrüstung zur Verfügung stellen. Natürlich stehen auch die Mitarbeitenden in der Pflicht. Sie müssen die Sicherheitsmassnahmen einhalten – dies ist auch in unserem Code of Conduct festgehalten – und sich melden, wenn diese nicht funktionieren oder wenn es besser gemacht werden kann. Jede und jeder hat die Pflicht zu sagen: «So kann ich nicht arbeiten!».
Wir haben über die Abwägungen gesprochen. Safety ist immer auch eine Ermessensfrage und birgt Interessenskonflikte. Das Dilemma: Wir müssen einerseits vermeiden, dass wir uns selbst oder anderen Schaden zufügen. Andererseits stehen wir unter dem Druck, die Vorhaben in time abzuliefern. Wie gehen die Safety-Spezialisten in den Einheiten und Divisionen damit um?
Wichtig ist, dass wir Safety-Spezialisten nicht nur Stopp sagen, sondern vor allem auch helfen, an aus Safety-Sicht akzeptablen Lösungen mitzuarbeiten. Am Ende wollen wir ja alle, dass Projekte erfolgreich und profitabel abgeschlossen werden. Und die Safety-Spezialisten helfen dabei, dies möglichst ohne Leid zu erreichen. Dabei ist es sehr hilfreich, wenn wir mit den Einheiten eine gute Vertrauensbasis schaffen. Aber man muss als Safety-Person auch Charakter haben und wenn nötig unakzeptable Zustände und Arbeiten stoppen oder unbeliebte Massnahmen einfordern können.
So bringt Implenia Safety ins Unternehmen
Der Health & Safety Award, die 15-Minuten Schulungen und der Health & Safety Day sind drei Initiativen, mit denen Implenia den Gesundheitsschutz und die Arbeitssicherheit gruppenweit ins Zentrum rückt. Über allem stehen die sechs Safety Rules.
Inwiefern nehmen Führungspersonen bei Safety eine wichtige Rolle ein?
Führungskräfte aller Stufen müssen das Thema sichtbar tragen und leben, damit die Mitarbeitenden erkennen, dass Safety ihren Vorgesetzten am Herzen liegt. Führungskräfte sind gefordert, alle Regeln bzw. Vorschriften einzufordern und gleichzeitig Unterstützung zu bieten. Man nennt dies auch Safety Leadership. So geht Safety durch die Organisation. Arbeitssicherheit beginnt ganz oben und ist eine Frage der Haltung. Es muss Ziel von allen Führungskräften sein, dass wir ein sicheres Arbeitsumfeld haben.
Wie lebst du SAFETY LEADERSHIP?
«Für mich ist einer der wichtigsten Punkte bei Safety Leadership, dass am Arbeitsplatz eine gute Kultur geschaffen wird, in der jeder an seine eigene Sicherheit und die Sicherheit der anderen Mitarbeitenden denkt– dies bei allen Prozessen eines Projekts. Jeder muss gut über die nächsten Schritte im Prozess informiert sein und die HSE- und Rettungsstationen leicht finden können. Dies bedingt, dass wir die Informationen über Änderungen der Zugangswege und neue Standorte der HSE-Stationen laufend aktualisiert halten.»
Ole Magne Rønning, Projektleiter Projekt E39 Rogfast, Los E02 Kvitsøy
Was sind beim Thema Safety die Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit Subunternehmen und was ist hier Best Practice?
Subunternehmer haben oft weniger finanzielle Mittel als die Auftraggeber, um höhere als die gesetzlich verlangten Standards zu erfüllen. Und manchmal nehmen sie sogar dort Abkürzungen. Wenn nun verschiedene Subunternehmer parallel auf derselben Baustelle arbeiten, treffen verschiedene Philosophien, Arbeitsweisen und Sicherheitsstandards aufeinander. Best Practice ist, die Subunternehmer von Anfang an betreffend Safety miteinzubeziehen. Dies beginnt mit Verträgen, in denen wir verlangen, dass die Subunternehmer im Minimum die Standards von Implenia erfüllen. Im Minimalansatz haben wir dies bereits verankert. Wir wählen unsere Subunternehmen nicht nur nach dem Preis aus, sondern unser Einkauf prüft auch immer Safety-Kriterien. Zudem haben wir dieses Jahr in der Schweiz einen HSE (Health, Safety and Environment) Standard eingeführt, der ab jetzt in jedem Vertrag mit jedem Subunternehmen Pflicht und auch weiter ausbaubar ist. Und noch etwas ist wichtig bei der Zusammenarbeit mit den Subunternehmen: Auf jedem Projekt sollten die Risiken der anstehenden Arbeiten gemeinsam besprochen werden, es sollten Massnahmen festgelegt und geprüft werden, dass diese auch wirksam sind und eingehalten werden. Das ist eine grosse Herausforderung und da sind wir dabei, solche weiterführenden Safety-Checks einzuführen. Wir wollen aus moralischen und wirtschaftlichen Gründen erreichen, dass nicht nur wir, sondern auch die Subunternehmer auf unseren Baustellen sicher arbeiten und sicher sind.
«Best Practice bei der Zusammenarbeit mit Subunternehmen ist, in den Verträgen zu verlangen, dass diese im Minimum die Standards von Implenia erfüllen.»
Kann Implenia durch die vertragliche Einforderung der eigenen Sicherheitsanforderungen auch Einfluss nehmen auf die gesamte Bauindustrie?
Ich bin überzeugt, dass – wenn die grossen Bauunternehmen wie Implenia ihre eigenen, höheren Sicherheitsanforderungen von den Subunternehmen vertraglich einfordern bzw. bei der Wahl der Subunternehmen Sicherheitskriterien beachten – dies mit der Zeit auf die gesamte Bauindustrie abfärben wird. Zudem engagieren wir uns in verschiedenen Austauschgremien wie etwa dem Schweizer Baumeisterverband für das Thema Safety und versuchen auch über andere Institutionen, die Politik und die Bauherren auf die gesamte Industrie Einfluss zu nehmen. Der mächtigste Treiber für Safety ist der Kunde. In Skandinavien ist man schon viel weiter. Ein Beispiel: In Schweden werden gewisse Aufträge nur vergeben, wenn Sicherheitsfachkräfte fix auf dem Projekt arbeiten.
Kann man Sicherheit durch Regeln steuern?
Absolut, in bestimmten Situationen ist das sogar unabdingbar. Menschen sind oft bequem und deshalb wenden sie ohne böse Absicht gewisse Schutzmassnahmen nicht automatisch an. Dabei haben Bauhelme, Augenschutz, Absturzsicherungen und weitere Massnahmen nachweislich Leben gerettet und Verletzungen verhindert. Ein Vergleich: Ohne ein Sitzgurtenobligatorium im Strassenverkehr gäbe es deutlich mehr Verkehrstote.
Wo hört bei der Sicherheit die persönliche Freiheit auf? Was ist Bevormundung im normalen Rahmen?
Die persönliche Freiheit hört dort auf, wo entweder der Gesetzgeber oder der Arbeitgeber entschieden hat, dass gewisse Sicherheitsmassnahmen nötig sind. Oft basieren diese Massnahmen auf schmerzhaften Erfahrungen aus der Vergangenheit. Diese Erfahrungen hat eine einzelne Person vielleicht noch nie gemacht («Ich bin noch nie irgendwo heruntergefallen») oder erlebt, aber statistisch ist der Schaden nachweisbar. Ausserdem will Implenia nicht, dass sich die Mitarbeitenden bei der Arbeit verletzen. Wer keinen Bauhelm, keine Sicherheitsschuhe oder keinen UV-Schutz tragen will, soll nicht auf dem Bau arbeiten. Damit die Projektleitung diese Regeln einfordern kann, ist es wie gesagt wichtig, dass wir Safety in den Verträgen regeln.
«Die persönliche Freiheit hört dort auf, wo entweder der Gesetzgeber oder der Arbeitgeber entschieden hat, dass gewisse Sicherheitsmassnahmen nötig sind.»
Felix Akeret, Global Head Safety
Was kann jeder Einzelne zu Safety beitragen?
Sehr viel: Sich die sechs Safety Rules zu Herzen nehmen, ein sichtbares Vorbild sein, unsichere Zustände und Situationen beheben und/oder melden, bei Entscheidungen immer auch Safety zur Sprache bringen, sich auch zu Hause sicher verhalten und sein Umfeld entsprechend beeinflussen usw. Und vor allem eines wissen: Jede, auch noch so kleine Aktion, ist ein weiterer Schritt in Richtung mehr Sicherheit.