Stress, lass nach!
Worum geht’s?
- Stress ist nicht per se negativ. Akuter Stress macht uns sogar widerstandsfähiger.
- Dauert aber der Stress über Wochen und Monate an, kann er zu chronischem Stress führen – und dieser ist sehr schädlich.
- Stresssymptome zeigen sich auf vier Ebenen: körperlich, emotional, geistig und beim Verhalten.
- Wichtig ist es, früh auf Stresssymptome zu reagieren.
- Gegen Stress kann jede und jeder persönlich und auch der Arbeitgeber einiges tun. Hier geht es direkt zu unserer Präventionskampagne 2024 und zum «Stress-Check für mich»
Wie entsteht Stress und was bedeutet Stress aus wissenschaftlicher Sicht? Barbara Studer: Stress ist eine Überforderung unserer Ressourcen, auf die unser Körper mit der Freisetzung von Stresshormonen im Körper reagiert, die Herzfrequenz und Blutdruck steigen lassen. Stress ist messbar im Körper.
Ist Stress per se negativ? Nicht grundsätzlich. In einem gewissen Masse brauchen wir sogar Stress. Stress in einem gesunden Ausmass ist etwas sehr Förderliches. Er macht uns widerstandsfähiger und aktiviert den Körper. Wenn das Herz schneller schlägt, habe ich mehr Sauerstoff im Blut und in den Muskeln. Wenn ich ein «bisschen» Stress empfinde – man spricht dann von akutem Stress – bin ich leistungsbereit, was ja etwas Positives ist. In solchen akuten Stressphasen hilft einem auch sein Mindset: Sieht man die Bedeutung seiner Arbeit und ist man zum Beispiel einem Projekt gegenüber positiv eingestellt, trägt einen dies über akute Stressphasen. Dauert aber der Stress über Wochen und Monate an, kann er zu chronischem Stress führen – und dieser ist sehr schädlich.
Wo liegen die Grenzen zwischen gesundem und schädlichem Stress und welches sind Anzeichen für Stress? Die Grenzen sind individuell. Aber die Symptome kann man allgemein definieren. Diese zeigen sich auf vier Ebenen: körperlich, emotional, geistig und beim Verhalten. Körperliche Symptome sind zum Beispiel Kopfschmerzen, chronische Müdigkeit, Magen-Darmprobleme, Verspannungen oder Anfälligkeiten auf Infekte. Zu den emotionalen Symptomen gehört es, dass man kaum mehr Freude empfinden kann, sehr starke Stimmungsschwankungen oder Ängste hat und sehr schnell reizbar ist. Auf der geistigen Ebene sind Stressfolgen Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten – ein Zeichen dafür, dass das Hirn überlastet ist und Informationen nicht mehr gut verarbeiten kann. Die vierte Art von Symptomen zeigen sich im Verhalten und reichen von Schlaf- und Essstörungen über den Griff zu beruhigenden Mitteln bis zu sozialem Rückzug, da man nicht mehr gerne mit anderen Menschen zusammen ist.
Wann sollte man die Stresssymptome als Warnzeichen sehen? Sobald man merkt, dass man auf mindestens einer der vier Ebenen Symptome erlebt. Selbstverständlich muss man diese Symptome auch für sich selbst einordnen: Hat man etwas Nackenverspannung, liegt dies nicht zwingend am Stress. Doch grundsätzlich sollte man Stresssymptome ernst nehmen. Werden sie stärker oder treten mehrere Symptome miteinander auf, müssen definitiv die Alarmglocken läuten. Je früher man reagiert, desto besser.
Wie entlastet man seinen Körper und seine Psyche von Stress? Zum einen muss man gegen aussen Grenzen setzen und sich vor der zu gross gewordenen Arbeitsbelastung schützen. Dabei ist es wichtig, klar und offen zu kommunizieren, dass man unter Stress leidet. Bitte kein Tabu daraus machen! Zum anderen muss man Wege finden, wie man wieder zu Entspannung und neuer Kraft kommt. Hier ist jeder Mensch anders. Ich empfehle zu überlegen, wo man selbst so richtig aufblüht, was einem so richtig gut tut. Bei den einen ist es das Tanzen, Malen, Musik oder ein Waldspaziergang. Natur ist eine sehr wirksame Regenerationsquelle: Schon nach zehn Minuten im Wald sinkt der Spiegel des Stresshormons Cortisol im Blut um rund 15 Prozent.
Ressourcen gegen den Stress
Stress zählt zu den häufigsten Unfall- und Krankheitsursachen. Wir alle verfügen über Ressourcen, die uns helfen, Belastungssituationen zu bewältigen. Die Präventionskampagne 2024 des betrieblichen Gesundheitsmanagement von Implenia zeigt auf, wie wir diese Ressourcen entdecken, entwickeln und für uns nutzen können.
Man hört immer wieder, dass man seine Resilienz (psychische Widerstandskraft) trainieren sollte, um sich gegen Stress zu wappnen. Ist das ein gutes Rezept? Man kann tatsächlich selbst viel tun, um widerstandsfähiger und stressresistenter zu werden. Hier gibt es viele Ansätze. Ganz wichtig ist, dass man sich Zeit nimmt, um sich selbst zu reflektieren und sich selbst wahrzunehmen. Wenn ich weiss, was mir wichtig ist, worauf ich mich freue, mir meinen Ressourcen bewusst bin und auch meine Grenzen kenne, werde ich resilienter. Aber auch ein positives Mindset, das Investieren in gute Beziehungen oder eine gesunde Lebensweise stärkt die eigene Widerstandskraft. Die Resilienz zu trainieren, ist ein lebenslanger Prozess. Was man aber auch sagen muss: Sind die Anforderungen zu hoch oder die Arbeitsbelastung unrealistisch gross, kann man als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter noch so resilient sein: Man wird Stress erleben.
Wie sollte der Arbeitgeber reagieren, wenn eine Person unter chronischem Stress leidet? Für die Mitarbeitenden, die unter chronischem Stress leiden, ist es ganz wichtig, dass sie erleben, dass der Arbeitgeber ihre Bedürfnisse ernst nimmt und schnell darauf reagiert, zum Beispiel indem er die Arbeitslast reduziert oder der betroffenen Person längere Pausen einräumt usw.
Was passiert, wenn man nicht frühzeitig auf Stress reagiert? Chronischer Stress schädigt das Hirn, die Psyche und die Gesundheit erwiesenermassen. Je später ich reagiere, desto mehr Stress hat sich schon angesammelt und desto schwieriger wird es, sich davon zu erholen.
Inwiefern schädigt chronischer Stress das Hirn? Dass chronischer Stress, bzw. zuviel Cortisol im Blut, Schaden im Hirn anrichtet, ist messbar. Chronischer Stress kann den Hippocampus, der bei der Gedächtnisbildung eine zentrale Rolle spielt, schrumpfen lassen. Dies begründet auch, dass viele Menschen, die unter Stress leiden, Gedächtnisprobleme haben.
30,3 Prozent der Schweizer Arbeitnehmenden sind gemäss Job-Stress-Index emotional erschöpft, da die Belastung und die eigenen Ressourcen nicht im Gleichgewicht sind. Welche Verantwortung hat der Arbeitgeber, um einer emotionalen Erschöpfung vorzubeugen? Was sind Stress-Vermeider? Besonders wichtig ist es, den Mitarbeitenden Wertschätzung entgegenzubringen und in eine Arbeitskultur zu investieren, die geprägt ist von Offenheit und Transparenz. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen wissen, dass sie über ihre Situation reden können. Dies hilft nicht nur den Betroffenen, sondern auch dem Unternehmen, das damit langen Ausfällen vorbeugt.
Warum sind die individuellen Grenzen der Belastbarkeit von Person zu Person sehr unterschiedlich? Die Belastungsfähigkeit hat verschiedene Facetten. Ein Beispiel: Eine Teamkollegin kann sehr viel Zeitdruck aushalten, ihr Kollege kann dies nicht, ist aber sehr gut darin, verschiedene Projekte gleichzeitig zu managen, was wiederum seine Kollegin nicht so gut kann. Dies ist immer auch von den eigenen Fähigkeiten abhängig: Fällt einem etwas leicht, ist man auch belastbarer in diesem Bereich. Auch können Persönlichkeiten mit emotionaler Stabilität Stress besser aushalten als Personen, die emotional weniger gestärkt sind. Ein dritter Aspekt ist die Gesundheit: Eine Person, die genug schläft, gesund isst, gute Beziehungen hat und ihre geistigen Fähigkeiten fordert, kann mehr ertragen.
Wie zeigt es sich bei der Arbeit, wenn man selbst oder Kolleginnen und Kollegen unter Stress leiden? Wenn Personen unkonzentrierter, unzufriedener, gereizter und unmotivierter sind, mehr Fehler machen, weniger effizient arbeiten, häufiger ausfallen und ihre Leistung sinkt, kann dies die Folge von Stress sein. Diese zeigt sich übrigens zuweilen auch in einer Übermüdung im Gesicht. Was ich zudem schon selbst in meinem Team erlebt habe, ist, dass Personen, die unter Stress leiden, Dinge nur noch abarbeiten, aber kaum mehr kreativ sind.
Wie geht man als Vorgesetzte bzw. Vorgesetzter und im Team damit um, dass die Belastungsgrenzen individuell sehr unterschiedlich sind? In einem guten Team kennt und wertschätzt man die Stärken der einzelnen Mitglieder. Vielleicht ist eine Person nicht so belastungsfähig, dafür ist sie stark im Vorausplanen und schützt uns als Team vor Fehlern, in die wir ohne sie reinlaufen würden. Wenn man als Vorgesetzte bzw. Vorgesetzter die Sicht fördert, dass alle noch so verschiedenen Stärken im Team gebraucht werden und es wichtig ist, dass wir uns gegenseitig bei den Schwächen unterstützen, macht man punkto Stressvermeidung schon vieles richtig.
Sowohl arbeitsbedingte als auch private Faktoren können zu Stress führen. Wie gehe ich damit um, wenn ich merke, dass ein Teil des Stresses aus dem Privatleben kommt? Hat privater Stress am Arbeitsplatz einfach nichts zu suchen? Meistens gibt es eine Hauptquelle für den Stress. Das heisst die Stressoren liegen vorrangig im Bereich der Arbeit wie Zeitdruck oder im Bereich des Privatlebens wie Beziehungskonflikte oder Sorgen um einen Nächsten. Aber es kann auch eine Kombination sein. Tatsache ist auch, dass die Arbeit das Privatleben und das Privatleben die Arbeit beeinflusst. Trennen kann man das nicht. Wir sind ja keine Maschinen. Es muss auch am Arbeitsplatz in einem beschränkten Mass Raum geben, über seine private Situation reden zu können. So kann das gegenseitige Verständnis gefördert werden.
Stress-Check für mich
Wie ist die eigene Stressbelastung im Vergleich zu anderen und wie kann ich herausfinden, ob mein Stress durch die Arbeit, das Privatleben oder durch eine Kombination davon verursacht wird? Die Standortbestimmung «Stress-Check für mich» hilft, mehr über seine persönliche Stressbelastung herauszufinden und allenfalls Wege für den Abbau von Stress zu finden.
Wie würden Sie eine ideale Work-Live-Balance beschreiben? Das generelle Ideal gibt es nicht, es gibt nur die persönliche ideale Work-Live-Balance. Wie diese ausschaut, muss man selbst herausfinden. Die einen trennen die Bereiche Arbeit und Privatleben lieber strikte voneinander, die andern lassen sie ineinanderfliessen. Schlussendlich zeigt sich eine gute Balance, wenn man sowohl bei der Arbeit als auch im Privaten Freude hat. Wird es einem im einen oder im anderen Bereich zu viel, wird man unzufrieden, was zeigt, dass die Balance nicht gegeben ist. An seiner Work-Live-Balance muss man immer wieder etwas schrauben. Vielleicht gibt es Zeiten, wo man bei der Arbeit Vollgas geben und im Privaten entlastet werden muss, und Zeiten, in denen ich im Privaten mit herausfordernden Themen belastet bin und bei der Arbeit Unterstützung benötige. Es ist ein konstantes Adjustieren.
About
Dr. Barbara Studer ist eine preisgekrönte Neurowissenschaftlerin mit Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Bern. Sie ist zudem Initiantin, Mitbegründerin und CEO der Hirncoach AG, die Programme für ganzheitliches Gehirntraining anbietet.
Mehr Informationen über Barbara Studer gibt es auf der Website studertalk.ch oder auf dem LinkedIn-Profil der Expertin.