Megatrends in der Bauindustrie
Doch welche Megatrends für Innovationen in der Baubranche gibt es abgesehen von den Start-ups noch? Ich sehe drei Megatrends, die heute bei Infrastruktur- und Bauprojekten anwendungsreif sind.
1 Künstliche Intelligenz
Der erste ist der Einsatz der klassischen künstlichen Intelligenz zur Schaffung von Expertensystemen und zur Erweiterung des Wissens von Bauleitern und Ingenieuren. Ein Beispiel ist der Einsatz der generativen Bauplanung. Die von ALICE Technologies entwickelte Software etwa kann Planungsexperten dabei helfen, „Rezepte“ für den Bau eines bestimmten Objekts auf der Grundlage des Building Information Model (BIM) des Projekts zu erstellen. Die Software kann dann Millionen von potenziellen Projektzeitplänen erstellen, die das Projektteam weiter analysieren kann, um den besten auszuwählen. In meinen Kursen vermittle ich den Studierenden die Algorithmen und Theorien, die hinter diesen Ansätzen zur Nutzung künstlicher Intelligenz für die Bauplanung stecken. 2018 setzten zwei Masterstudierende der ETH Zürich ALICE für das Implenia-Projekt Überlandstrasse ein und verglichen die Ergebnisse mit dem vorgeschlagenen Zeitplan, der mittels Taktplanung erstellt worden war.
2 Reality Capturing
Zweitens kann Computer Vision dabei helfen, die gebaute Umgebung in Form von nutzbaren digitalen Zwillingen zu erfassen und nachzubilden. Wollten Unternehmen in der Vergangenheit ein BIM-Modell mithilfe von Laserscans nachbilden, konnte das tagelange manuelle Arbeit mit der Software bedeuten, bis eine genaue 3D-Darstellung des vorhandenen Raums erstellt war. Heute dauert dieser Vorgang nur noch Stunden oder sogar Minuten. Führende Forscher, darunter Dr. Iro Armeni am Lehrstuhl für Innovatives und Industrialisiertes Bauen, haben neuartige Computer-Vision-Methoden entwickelt, um den Zusammenhang von Punktewolken oder digitalen Fotos zu verstehen und sie in ein angereichertes BIM-Modell umzuwandeln. Diese Forschung wird nun von führenden Start-up-Unternehmen in die Praxis umgesetzt. Reconstruct ist z. B. ein neues Unternehmen, das Drohnen für das Reality Capturing einsetzt. Es kombiniert tägliche Fortschrittsaktualisierungen mit dem Building Information Model und dem Projektzeitplan, um eine Echtzeitüberwachung der Bauarbeiten zu ermöglichen. Ein ähnliches Unternehmen namens Scaled Robotics nutzt Feldrobotik wie den SPOT-Roboter von Boston Dynamics zur Nachbildung von Innenräumen. Implenia hat mit Scaled Robotics bereits bei einer Testimplementierung zusammengearbeitet.
3 Industrialisiertes Bauen
Drittens setzt sich der Trend des industrialisierten Bauens immer mehr durch, trotz der kürzlich bekannt gewordenen Pleite des Unternehmens Katerra. Weltweit gibt es neue Start-ups oder Initiativen, die modulare Konstruktion, Bausätze, 3D-Druck oder andere Methoden der digitalen Fertigung nutzen, um die Qualität zu verbessern und die Projektlaufzeiten zu verkürzen. Der Trend scheint weg von vertikal integrierten Geschäftsmodellen und hin zu einem flexibleren Geschäftsmodell zu gehen. Dieses Geschäftsmodell bezeichnen wir als „digitales Systemintegrator-“ oder „Orchestrator“-Modell, weil es sich auf die Koordination und Industrialisierung der Lieferkette konzentriert und zugleich die hohen Kosten vermeidet, die mit dem Besitz und Betrieb eines Werks verbunden sind. Zudem lassen mehrere neue erfolgreiche Versuche in der Schweiz und in Deutschland darauf schließen, dass sich der 3D-Druck endlich auf dem Markt durchsetzen wird.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass das Building Information Modeling (BIM) oben nicht aufgeführt ist. Meiner Meinung nach ist BIM keine neue Technologie mehr. BIM ist der neue Standard für das Management von Bauprojekten. Die meisten ConTech-Trends setzen heute voraus, dass ein Projekt über ein aktualisiertes BIM-Modell verfügt. In diesem Bereich sehe ich die Schweiz und Deutschland im Rückstand, aber sie holen schnell auf den internationalen Stand der Technik auf. Ein zukünftiges Bedürfnis besteht darin, zukünftige Bauleiter mit digitalen Fähigkeiten auszubilden und diese weiterzuentwickeln. Bauprojektteams können sich nicht länger darauf verlassen, dass zentralisierte Technologieteams „das BIM für sie erledigen“. Auch die im Tagesgeschäft eingebundenen Mitglieder der Projektteams müssen über Managementkompetenzen auf dem Gebiet des Digital Engineering verfügen.
UNSER GASTAUTOR
Dieser Artikel wurde von Daniel Hall, Assistenzprofessor für Innovatives und Industrialisiertes Bauen am Departement Bau-, Umwelt- und Geomatik der ETH Zürich, verfasst. Das übergreifende Thema seiner Forschung ist die Verbesserung der Steuerung, Produktivität und Innovation bei Bauprojekten durch den Umstieg von fragmentierten Projektabwicklungsmethoden auf neue Organisationsmodelle, die eine ganzheitliche Lieferkette für die vertikal und horizontal fragmentierte Bauindustrie ermöglichen.
Kontaktdaten Daniel Hall hall@ibi.baug.ethz.ch