Daten interpretieren und gezielt Massnahmen ableiten

Das Interview wurde von Remi Buchschacher geführt und ist am 13. März 2025 im Original auf der Plattform RealEstateMove erschienen.
Die Berichterstattung zur Nachhaltigkeit wird immer komplexer. Verschiedene Benchmarks, Standards und Zertifikate verlangen eine Vielzahl an Daten und Kennzahlen. Wincasa, als führender Immobilien-Dienstleister der Schweiz, bewirtschaftet die Portfolios mehrerer grosser institutioneller Eigentümer, die direkt von diesen Herausforderungen betroffen sind. Wie kann die Bewirtschaftung dieser Rolle gerecht werden?
Niklas Naehrig: Die ESG-Berichterstattung hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt – von freiwilligen Offenlegungen hin zu klaren regulatorischen Anforderungen. Institutionelle Eigentümer stehen unter wachsendem Druck, transparente und belastbare ESG-Daten zu liefern. Als Bewirtschafter sind wir an der Quelle dieser Informationen und tragen eine Schlüsselrolle bei der Erfassung und Verarbeitung dieser Daten. Unser Nachhaltigkeitsteam unterstützt unsere Kunden, indem wir die ESG-relevanten Kennzahlen strukturiert erfassen, aufbereiten und für Geschäftsberichte, Zertifikate und Benchmarks zur Verfügung stellen. Gemeinsam mit Novalytica haben wir technische Lösungen entwickelt, um Datenflüsse weitgehend zu automatisieren und die Datenqualität sicherzustellen.
Die Bewirtschaftung rückt nun also in eine neue und äusserst wichtige Position im Property- und Portfoliomanagement. Die Erfassung von Verbrauchsdaten spielt eine zentrale Rolle im ESG-Reporting. Wie geht Wincasa dabei vor?
Wir konzentrieren uns insbesondere auf die Verbrauchsdaten in den Bereichen Energie, Wasser und Abfall. Die Herausforderung liegt in der Heterogenität der Datenquellen: Viele Informationen sind in unstrukturierten Formaten wie PDF-Rechnungen verfügbar. Um diesen Prozess effizienter zu gestalten, setzen wir KI-gestützte Lösungen ein. Unsere Technologie kann Verbrauchsabrechnungen automatisch auslesen und strukturieren. Anschliessend plausibilisieren wir die Daten, um Fehler zu minimieren. Automatisierte Qualitätsprüfungen sorgen dafür, dass Abweichungen erkannt und gegebenenfalls korrigiert werden.
FM- und Bewirtschaftungsfachkräfte müssen sich mit neuen Technologien wie IoT, Big Data und KI vertraut machen und diese einsetzen können, um Gebäude und Anlagen effizient zu managen. Auch die Sammlung und Analyse von Gebäudedaten werden immer wichtiger, um die Effizienz zu optimieren und die Entscheidungsfindung zu verbessern. Kann die Bewirtschaftung diesen Bedarf abdecken?
Das Berufsbild der Bewirtschafterin ebenso wie das des Facility Managers entwickelt sich stetig weiter. Neben klassischen Aufgaben wird die digitale Kompetenz wichtiger. Die Implementierung von IoT-Lösungen, automatisierte Datenerfassung und KI-gestützte Analysen sind essenziell, um Gebäude effizient zu bewirtschaften. Nicht zu vergessen ist hierbei jedoch, dass diese Lösungen selbst auch wieder einen Unterhaltsaufwand verursachen. Unsere Aufgabe als Immobiliendienstleister ist es, unsere Fachkräfte in diesen Bereichen zu schulen und gleichzeitig Lösungen bereitzustellen, die den Umgang mit komplexen Daten erleichtern. Der Bewirtschafter oder die Bewirtschafterin spielt dabei eine Schlüsselrolle, da sie oder er als Schnittstelle zwischen Eigentümer, Mietenden und den eingesetzten Technologien fungiert. Er oder sie muss nicht nur mit diesen Systemen arbeiten, sondern auch die Daten interpretieren und gezielt Massnahmen ableiten.
Niklas Naehrig leitet den Bereich Consulting & Sustainability bei Wincasa und bringt umfangreiche Erfahrung in der Architektur und der Immobilienwirtschaft mit. Mit einem Doktorat der ETH Zürich und Weiterbildungen in strategischem Bau- und Asset-Management ist er ein Experte in der Entwicklung von nachhaltigen Immobilienstrategien. Seine Schwerpunkte liegen in der ESG-Integration und im Energiemanagement, wo er Zertifizierungsprozesse wie GRESB und BREEAM begleitet. Seit 2017 ist er in verschiedenen Funktionen für Wincasa tätig.
ESG-Berichtsstandards ermöglichen zwar eine strukturierte Darstellung der Nachhaltigkeitsleistung, jedoch fehlt es häufig an Best Practices für die Umsetzung. Wie werden daraus Kennzahlen, wie sie von Standards wie AMAS verlangt werden, berechnet?
Der erste Schritt ist die systematische Erfassung aller relevanten Rohdaten. Anschliessend werden diese mit weiteren Faktoren wie Flächendaten und Emissionsfaktoren verknüpft. Beispielsweise berechnen wir die CO₂-Intensität einer Immobilie, indem wir den Energieverbrauch mit spezifischen Emissionsfaktoren multiplizieren und anschliessend auf die Gesamtfläche der Immobilie beziehen. Durch automatisierte Prozesse stellen wir sicher, dass diese Berechnungen konsistent und nachvollziehbar bleiben.
Die Resultate müssen aber auch richtig interpretiert werden.
Tatsächlich ist mit der ESG-Berichterstattung in Hinblick auf Performance-Verbesserung noch nichts erreicht. Es geht darum, die Ergebnisse richtig zu interpretieren und in konkrete Massnahmen umzusetzen. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass wir mit unseren Nachhaltigkeitsservices an der Schnittstelle zwischen Property Management und Asset Management eine wichtige Lücke schliessen.
Um an einem Benchmark wie GRESB teilzunehmen, aber auch für andere Reporting-Standards, braucht es neben Verbräuchen noch weitere Daten. Diese sind oft in verschiedenen Systemen erfasst. Wie lassen sich diese Datenflüsse zusammenführen?
Genau hier setzen wir mit unserer Datenstrategie an. Wir empfehlen unseren Kunden, frühzeitig eine klare Strategie für das ESG-Reporting zu definieren: Welche Benchmarks und Zertifikate sind relevant? Welche Daten müssen dafür erfasst werden? Häufig müssen Daten aus sehr unterschiedlichen Quellen konsolidiert werden, um die Komplexität des Erfassungsprozesses zu reduzieren. Gemeinsam mit Novalytica haben wir eine zentrale ESG-Datenplattform entwickelt, die relevante Informationen aus verschiedenen Systemen zusammenführt und aufbereitet. Durch eine konsistente Datenstruktur können wir die notwendigen Reporting-Formate dann schlussendlich auf Knopfdruck generieren.
Der gesamte Prozess von der Datenerhebung bis zur Berechnung der relevanten Kennzahlen muss transparent und nachvollziehbar ausgewiesen werden. Was aufzeigt, wie zentral ein effizientes, gut durchdachtes Datenmanagement für die ESG-Berichterstattung ist. Wer garantiert über die Richtigkeit der angegebenen Informationen?
Die Qualitätssicherung erfolgt über mehrere Ebenen. Einerseits setzen wir auf moderne Technologien, die automatisch Unstimmigkeiten in den Daten erkennen. Jede berechnete Kennzahl muss in jedem Bearbeitungsschritt bis zurück zur Quelle nachvollziehbar sein. Zudem gibt es zunehmend externe Auditierungsanforderungen: Benchmarks wie GRESB oder regulatorische Standards verlangen, dass die Berichterstattung durch Dritte nachvollziehbar und überprüfbar ist. Unsere Datenerfassungsprozesse entsprechen deshalb den Anforderungen des International Standard on Assurance Engagements (ISAE 3000).
Die Erfassung der meisten Daten rund um eine Immobilie erfolgt manuell. Insbesondere bei Verbrauchsdaten (Strom, Wasser, Abfall) bestehen oftmals noch keine automatisierten Möglichkeiten zur Erfassung, oder der direkten Datenanbindung via Schnittstellen zu den Versorgungsunternehmen. Wie lässt sich trotz dieser Heterogenität die Erhebung der Daten automatisieren?
Smart Metering ist eine zentrale Lösung für dieses Problem, aber die Abdeckung in der Schweiz ist noch begrenzt. Bei der manuellen Datenerfassung wäre eine Standardisierung der Abrechnungsformate und -formatierungen hilfreich und auch im Interesse der Verbraucher. Denn selbst KI kommt bei der Auswertung der unterschiedlichen Formate an Grenzen. Wir setzen auf eine Kombination aus digitalen Schnittstellen und KI-gestützter Datenerfassung. Unsere Systeme können Verbrauchsdaten aus Abrechnungen extrahieren und in eine standardisierte Struktur überführen. Langfristig ist das Ziel, direkte Schnittstellen zu Versorgungsunternehmen zu etablieren, um Echtzeitdaten zu erhalten.
Eine solide ESG-Datenverwaltung ist also ein unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen ESG-Strategie und unterstützt Immobilienunternehmen dabei, Risiken frühzeitig zu erkennen, Chancen zu nutzen und ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Doch wirkt sich das auch positiv auf die Rendite aus?
Absolut. Eine gut durchdachte ESG-Strategie und eine gute Unterhaltsstrategie sind kein Widerspruch. Sie erhöhen nicht nur die regulatorische Compliance, sondern steigern auch die Attraktivität einer Immobilie. Investoren achten zunehmend auf ESG-Kriterien, und gut dokumentierte Nachhaltigkeitsmassnahmen können sich positiv auf den Wert einer Immobilie auswirken. Zudem führen optimierte Verbrauchs- und Wartungskosten langfristig zu einer besseren finanziellen Performance.
Wir sprachen hier bisher nur über das E von ESG. Wie stark muss sich die Bewirtschaftung in Zukunft auch auf die beiden Buchstaben S (Social) und G (Governance) konzentrieren?
Nachhaltigkeitsmanagement wird an Bedeutung gewinnen. Faktoren wie Mietermix, Inklusion und soziale Verantwortung spielen zunehmend eine Rolle in der Immobilienbewirtschaftung. Ein Beispiel dafür ist das Siedlungscoaching von Wincasa, das gezielt auf soziale Nachhaltigkeit in Wohnsiedlungen ausgerichtet ist. Dabei geht es darum, Nachbarschaften aktiv zu stärken, Konflikte frühzeitig zu erkennen und gemeinschaftliche Aktivitäten zu fördern – mit dem Ziel, die Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern. Auch im Bereich Governance nimmt die Bedeutung von Transparenz in der Datenverwaltung und der Einhaltung regulatorischer Vorgaben weiter zu. Immobilienbewirtschaftung wird sich daher nicht nur mit Energieverbrauch, sondern auch mit sozialen und governance-relevanten Themen intensiver auseinandersetzen müssen, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden.
Das Berufsbild des Bewirtschafters verändert sich zurzeit sehr stark. Die Fachkräfte stehen bei der Erhebung der Daten im Gebäude ganz zuvorderst und müssen mit den neuen Technologien umgehen können. Wie sehr macht sich hier der Fachkräftemangel bemerkbar?
Der Wandel in der Bewirtschaftung erfordert Spezialisierung und neue Kompetenzen. Die Nachfrage nach Fachkräften mit technischem Know-how steigt, während das klassische, generalistisch geprägte Berufsbild des Bewirtschafters im Wandel begriffen ist. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Target Operating Model (TOM), mit dem wir die Strukturen in der Bewirtschaftung neu ausrichten. Durch die Spezialisierung der Rollen – etwa die Trennung von Wohn- und Gewerbeimmobilien sowie eine klarere Aufgabenteilung zwischen operativen und administrativen Tätigkeiten – schaffen wir effizientere Prozesse und gleichzeitig attraktivere, zukunftssichere Berufsbilder.
Wie wollen Sie diese Attraktivitätssteigerung erreichen?
Wir setzen verstärkt auf Schulungen und Weiterbildungen für unsere Mitarbeitenden. Gleichzeitig müssen digitale Lösungen so gestaltet sein, dass sie die Arbeit erleichtern und nicht zusätzlich erschweren. Durch die Kombination aus moderner Technologie, klaren Rollenprofilen und gezielter Qualifizierung wollen wir dem Fachkräftemangel entgegenwirken und das Berufsbild des Bewirtschafters weiterentwickeln. Das zahlt schlussendlich auch auf die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit ein.
Der Immobilien-Dienstleister: Wincasa ist der führende integrale Immobilien-Dienstleister der Schweiz und bietet ein breites Dienstleistungsportfolio entlang des gesamten Lebenszyklus von Immobilien: Von der Planung über den Bau und die Bewirtschaftung bis hin zur Revitalisierung und Repositionierung einer Liegenschaft. Die 1999 gegründete Aktiengesellschaft ist in allen Landesteilen präsent und gehört seit Mai 2023 zu Implenia. www.wincasa.ch